BFH: Formale Erleichterungen bei innergemeinschaftlicher Lieferung
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2013-08-15
· Rechtsanwalt Johannes Jeep
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Auch ohne Umsatzsteuer-Identifikationsnummer kann in einem Reihengeschäft eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung vorliegen, wenn der Lieferer redlicherweise mit anderen Angaben belegen kann, dass der Erwerber ein Steuerpflichtiger ist. - Urteil vom 28. Mai 2013, XI R 11/09 -
1. Sachverhalt
Eine deutsche GmbH verkaufte 1998 zwei Maschinen an einen US-amerikanisches Unternehmen (A). Dieses teilte der GmbH auf Anfrage lediglich die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer einer finnischen Ltd. mit, an die es die Maschinen weiterverkauft hat. Die Maschinen wurden von einer von A beauftragten Spedition bei der GmbH abgeholt und nach Finnland verschifft. Ob A in Finnland einen innergemeinschaftlichen Erwerb erklärt hat, ist nicht festgestellt. Das Finanzamt behandelte die Lieferung der GmbH nicht als steuerfrei. Denn A benutzte als Erwerber keine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer. Die Klage der GmbH wurde abgewiesen.
2. Urteilsbegründung
Der BFH hat das Urteil aufgehoben und die Sache zur Neuentscheidung zurückverwiesen. Im Mittelpunkt der Entscheidung steht die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung. Für diese muss ein verkaufter Gegenstand in einen anderen Mitgliedstaat befördert oder versendet werden. Zudem hat der Abnehmer ein Unternehmer zu sein, der mit dem Erwerb in seinem Heimatland umsatzsteuerpflichtig ist. Im vorliegenden Fall haben zwei Verkäufe (GmbH – A; A – finn. Ltd), aber nur eine Versendung stattgefunden. Wegen des Tatbestandsmerkmals der Versendung ist entscheidend, ob die Versendung dem ersten Verkauf zugerechnet werden kann. Die GmbH hätte nach der Vermutungsregel des § 3 VI 6 UStG eine innergemeinschaftliche Lieferung erbracht. Anders wäre es, wenn A dem finnischen Endabnehmer die Verfügungsmacht an den Maschinen schon vor der Versendung verschafft hätte. Dieses ist noch aufzuklären.
Nach Auffassung des BFH steht einer innergemeinschaftlichen Lieferung nicht entgegen, dass die GmbH eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer von A nicht angeben konnte. Zwar ist dieses nach nationalem Recht Voraussetzung für die Anerkennung der Steuerfreiheit. Auf Anfrage hat jedoch der EuGH (C-587/10 „VSTR“) entschieden, dass der redliche Lieferant auch auf andere Weise nachweisen kann, dass der Erwerber ein Unternehmer ist und dass der Erwerber der Umsatzsteuer unterliegt. Auch ein Aktenvermerk eines Mitarbeiters der GmbH über eine Abstimmung mit dem Sachgebietsleiter des Finanzamts, die vom Außenprüfer nicht beanstandet wurde, kann ein angemessenes Vorgehen sein. Eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer ist also nicht in jedem Fall notwendig. Hätte A die Identifikationsnummer ihrer portugiesischen Niederlassung benutzt, dann hätte die GmbH diese aber, da ohne weiteres zumutbar, aufzeichnen müssen.
3. Praxishinweis
Das Urteil setzt auf nationaler Ebene die Vorgaben des EuGH zur Frage der Nachweispflicht im Zusammenhang mit Umsatzsteuern um. Der EuGH hat hierbei zum wiederholten Male im Sinne der Steuerpflichtigen entschieden und die strengen Nachweisanforderungen der nationalen Finanzverwaltungen eingeschränkt. Mit seinen Urteilen vom 21. Juni 2012 (C-80/11, C-142/11) hatte der EuGH entschieden, dass im Fall von Unregelmäßigkeiten bei einem Lieferanten die Steuerbehörden das Wissen oder Wissenmüssen des Steuerpflichtigen von einer auf einer vorhergehenden Umsatzstufe begangenen Steuerhinterziehung nachweisen müssen. Eine über die korrekte Rechnung des Vorlieferanten hinausgehende Recherche zu allgemeinen, verfügungsrechts- oder steuerbezogenen Pflichten des Vorlieferanten kann nicht erwartet werden. Der EuGH urteilte weiter, dass beim Nachweis von Steuerbefreiungsvoraussetzungen aus der Buchführung des betroffenen Unternehmens heraus das nationale Recht formale Pflichten nicht über materielle Anforderungen stellen darf (C-146/05). Einen Verstoß gegen formale Anforderungen ist erst dann relevant, wenn er den sicheren Nachweis verhindert, dass die materiellen Anforderungen erfüllt werden (C-587/10).
Zusammenfassend dürfen Wirtschaftsteilnehmer, die alle vernünftigerweise zu erwartenden Maßnahmen treffen, auf die Rechtmäßigkeit der von ihnen erzielten Umsätze und auf die Ordnungsgemäßheit der Lieferabwicklung vertrauen. Das für die nationale Rechtssetzung und -anwendung bestehende Ermessen darf nicht zu einer umfassenden Prüfungspflicht des Steuerpflichtigen und nicht zu einer Abwälzung der staatlichen Kontroll- und Dokumentationsaufgaben auf die Steuerpflichtigen verändert werden.
Der EuGH stärkt damit das Prinzip der „substance over form“ als einer maßgeblichen Grundlinie des europäischen Steuerrechts. Dieses Prinzip ist eine Folge des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität der Mehrwertsteuer, die ihrerseits auf das Binnenmarktsprinzip gründet und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.
Johannes R. Jeep
RA, FA SteuerR, FA HdGesR
von Rechtsanwalt Johannes Jeep
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