Beweislastumkehr in Arzthaftungsprozessen
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2012-01-23
· Rechtsanwalt Joachim Francke
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Anmerkung zu BGH, Urteil vom 07.06.2011, VI ZR 87/ 10
von Joachim Francke, Fachanwalt für Sozialrecht und für Medizinrecht, RAe Francke & Partner, Düsseldorf
Die Klägerin wurde im Alter von 33 Jahren wegen eines Starrezustandes des ganzen Körpers bei wachem Bewusstsein von einem Notarzt in ein Krankenhaus eingewiesen, das die Diagnose eines „psychogenen bzw. depressiven Stupors“ stellte und die Klägerin in die beklagte psychiatrische Einrichtung weiterverlegte. Dort wurde die Klägerin ausschließlich psychiatrisch behandelt.
Bei einer Untersuchung 5 Monate später wurde festgestellt, dass die Klägerin nicht psychisch erkrankt war, sondern am Tage der Einlieferung in die Klinik einen Hirninfarkt erlitten hatte. Den Ärzten der psychiatrischen Klinik wurde zum Vorwurf gemacht, die Einlieferungsdiagnose trotz entsprechender Symptome nicht überprüft zu haben. Eine mögliche frühere Behandlung des Thalamusinfarktes sei deshalb unterblieben. Hierdurch habe die Klägerin irreparable Schäden erlitten.
Das Landgericht ging von einem groben Befunderhebungsfehler aus und hat der Klage stattgegeben. Das OLG hat die Berufung mit der Begründung zurückgewiesen, es könne nicht mit hinreichender Sicherheit gesagt werden, dass eine frühere Therapie des Thalamusinfarktes zu einem besseren Heilungserfolg geführt hätte. Eine Beweiserleichterung für die Klägerin greife nicht ein, da der Befunderhebungsfehler als solcher nicht als grober Fehler zu bewerten sei. Der BGH hat das Urteil des OLG mit der Begründung aufgehoben, dass das Berufungsgericht die rechtlichen Grundsätze einer möglichen Beweislastumkehr für den Kausalitätszusammenhang zugunsten der Klägerin verkannt habe und medizinische Sachverständige zu befragen seien, wie das Nichterkennen des Schlaganfalles bei Durchführung der gebotenen Untersuchungen medizinisch zu bewerten ist.
Das Unterlassen einer medizinisch gebotenen Befunderhebung führt wie ein grober Behandlungsfehler zu erheblichen Aufklärungsschwierigkeiten hinsichtlich des Kausalverlaufes. Der BGH hat deshalb mehrfach entschieden, dass auch ein einfacher Befunderhebungsfehler zu einer Beweislastumkehr führen kann, wenn sich bei der gebotenen Abklärung der Symptome mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein so deutlicher oder gravierender Befund ergeben hätte, dass sich dessen Verkennung als fundamental oder die Nichtreaktion auf den Befund als grob fehlerhaft darstellen würde. Unter Hinweis auf die bisherige Rechtsprechung des 6. Zivilsenates wird in dem besprochnenUrteil klargestellt, dass eine Umkehr der Beweislast nur dann ausgeschlossen ist, wenn jegliche haftungsbegründende Ursache im Zusammenhang äußerst unwahrscheinlich ist.
Francke & Partner Rechtsanwälte
Fachanwalt für Medizinrecht
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Homberger Straße 5
40474 Düsseldorf
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